Politikwissenschaftler

Monat: Juni 2025

Shenzhen – Fortschritt mit Rückspiegel

Shenzhen gilt vielerorts als Symbol des chinesischen Aufbruchs – als futuristische Stadt, aus dem Boden gestampft, visionär, effizient. Doch je genauer man hinsieht, desto deutlicher treten Zeichen einer ideologischen Rückkehr ins Sichtbare.

Die urbane Oberfläche glänzt, doch darunter wächst ein Netz aus parteigelenkten Strukturen, das bis in den Alltag reicht. Inzwischen durchziehen Hunderte sogenannte „Volksdienstzentren“ das Stadtbild – sie vermitteln Nähe, meinen aber Kontrolle. Selbst an Grundschulen mischen sich historische Erzählungen ins Spielgeschehen: Auf einem übergroßen Bildschirm oberhalb des Schulhofs läuft die stilisierte Heldengeschichte chinesischer Soldaten im Koreakrieg – pädagogisch verpackt, patriotisch überhöht.

An Baustellen wird derweil Kriegsfilmkino gezeigt, etwa direkt gegenüber dem Huawei-Campus. Und an Bauzäunen prangen Hinweise zur „nationalen Sicherheit“ – so vage formuliert, dass man sie beliebig auslegen kann, aber so präsent, dass sie kaum übersehen werden können. Die Botschaft: Das Auge des Staates ruht überall – auch dort, wo eigentlich gebaut wird, nicht gedacht.

Selbst Verkehrsregeln tragen zur Idealisierung der Ordnung bei – allerdings nicht immer praktikabel. Radfahren auf der Straße ist untersagt, um den Autoverkehr nicht zu stören. Stattdessen drängt sich alles auf die Fußwege: Fahrräder, E-Scooter, Lieferdienste – hupend, drängelnd, irritierend. Chaos wird geregelt – aber nicht aufgelöst.

Besonders bemerkbar macht sich dieser Trend im Bereich der Kultur. Was nicht planbar ist, gerät ins Misstrauen. Ein amerikanischer Musiker, der einst gelegentlich in Bars auftrat, lässt heute lieber ganz die Finger von der Gitarre – nach Hinweisen, dass nur noch ausländische Profis auftreten dürfen. Sogar bei privaten Feiern verzichtet er.

Ein anderer, erfolgreicher Veranstalter von Improvisationstheater zeigt sich zunehmend vorsichtig – aus Sorge, dass seine Abende ins Visier der Behörden geraten könnten. Das Problem: In China braucht Theater ein genehmigtes Skript. Doch wie schreibt man ein Manuskript für Improvisation?

Die soziale und wirtschaftliche Isolation chinesischer Händler in Afrika

In vielen afrikanischen Ländern sind chinesische Kinder kaum präsent. Wenn überhaupt, besuchen sie internationale Schulen, und viele Familien planen ohnehin, ihre Kinder später in die USA zu schicken – insbesondere im Fall einer Verschärfung der Lage oder bei einem Notfall mit Evakuierungsszenario. Der Kontakt der chinesischen Gemeinschaft zum afrikanischen Alltag bleibt somit oft begrenzt.

Auch beim Sprachlernen zeigen sich deutliche Hürden: Einfache Methoden wie das Nachsprechen dreier aufgemalter Wörter reichen oft nicht aus, um die riesige Sprachbarriere zu überwinden. Diese Sprachprobleme tragen zur sozialen Entfremdung bei – viele Chinesen fühlen sich vom gesellschaftlichen Tempo und den Verpflichtungen ihrer Heimat China entfernt und zugleich in Afrika nicht wirklich integriert.

Wirtschaftlich gesehen hat der Markteintritt chinesischer Händler zu tiefgreifenden Veränderungen geführt: Die afrikanische Textilindustrie wurde bereits vor dem Eintreffen der Chinesen durch westliche Kreditbedingungen geschwächt, doch die Präsenz billiger Importware aus China hat den Sektor endgültig zum Zusammenbruch gebracht.

Chinesische Händler treten auf dem Markt aggressiv auf: Läden werden teils zehn Jahre im Voraus gemietet, was vielen lokalen Unternehmern den Zugang erschwert. Zudem genießen sie einen zweifelhaften Ruf – unter anderem, weil sie nicht bereit sind, wie etwa muslimische oder christliche Händler, 25 % des Gewinns für soziale Zwecke zu spenden. Diese fehlende Einbindung in lokale Netzwerke verstärkt das Bild vom kulturell isolierten Händler.

Die Gewinnmargen, die einst bei 100 % lagen, sind mittlerweile drastisch gesunken – teils auf 6 bis 7 %. Trotz des starken Konkurrenzkampfs untereinander gibt es keine Lobby für chinesische Händler in Afrika. Sie lassen sich nicht in klassische Konzepte von „Soft Power“ einordnen, nehmen nicht an Staatsbesuchen teil, und sind in vielen Ländern politisch und gesellschaftlich unsichtbar.

Zuverlässige statistische Angaben darüber, wie viele Chinesen tatsächlich in Afrika leben, gibt es nicht. Die Gemeinschaft bleibt zersplittert, wirtschaftlich aktiv, aber gesellschaftlich weitgehend isoliert.

© 2025 Dr. Gunnar Henrich

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