Politikwissenschaftler

Autor: Dr. Gunnar Henrich (Seite 1 von 2)

Ist Xi Jinpings Macht wirklich unangreifbar?

China verfolgt keine Strategie des offenen Systembruchs wie etwa Russland – stattdessen bemüht sich Peking, die bestehenden internationalen Strukturen gezielt zu nutzen, um eigene Interessen durchzusetzen. Offiziell gibt sich das Land als verantwortungsvolle Ordnungsmacht, während es zugleich die Regeln der westlich geprägten Weltordnung immer offener infrage stellt. Dieser doppelte Kurs offenbart ein Grundproblem: Der Aufstieg Chinas wurde durch die Zusammenarbeit mit dem Westen ermöglicht – gleichzeitig will das Land diesen Westen nun zunehmend herausfordern, ohne die Brücken völlig abzubrechen.

Der Druck auf Chinas Führung wächst: Politischer Gegenwind aus demokratischen Ländern, eine fragile Wirtschaftslage im Inland sowie der rigide Umgang mit der Pandemie haben deutliche Spuren hinterlassen. Ohne Zusammenarbeit mit dem Westen könnte Chinas Ziel, eine globale Führungsmacht zu werden, auf absehbare Zeit scheitern.

Auch innerhalb des Landes verschieben sich die Machtverhältnisse – und der Alltag der Menschen verändert sich spürbar. Was früher galt – wer sich politisch zurückhält, kann ein gutes Leben führen – scheint nicht mehr zu stimmen. Der Staat greift nun wieder tief in das Privatleben ein: Popkulturelle Vorbilder werden zensiert, weil sie angeblich nicht zum Idealbild der Nation passen. Sportler müssen ihre Tattoos verstecken. Kindern wird die Online-Spielzeit streng reglementiert. Selbst im Schulunterricht zeigt sich die neue Linie: In Shanghai wurde das Fach „Xi-Jinping-Denken“ eingeführt – auf Kosten des Englischunterrichts. Das wirft Fragen auf, besonders in einer globalisierten Welt, in der internationale Verständigung essenziell bleibt.

Blickt man auf die innere Struktur der kommunistischen Partei, zeigen sich tiefere Machtlinien. Zwei Fraktionen prägen die chinesische Führung maßgeblich. Auf der einen Seite stehen die sogenannten Jugendliga-Kader, also Politiker, die über den Kommunistischen Jugendverband aufgestiegen sind. Dieser Verband zählt zu den größten Organisationen des Landes und war lange ein klassischer Weg in höhere Ämter – auch für Persönlichkeiten wie Ex-Präsident Hu Jintao oder den kürzlich verstorbenen Premier Li Keqiang. Die Vertreter dieser Gruppe stammen meist aus einfacheren Verhältnissen und vertreten einen stärker sozial orientierten Kurs: mehr Gerechtigkeit, mehr Teilhabe, mehr gesellschaftlicher Ausgleich.

Auf der anderen Seite stehen die Prinzlinge – Kinder und Nachkommen jener Revolutionäre, die nach 1949 die Volksrepublik geprägt haben. Auch Xi Jinping gehört zu dieser Gruppe: Sein Vater gehörte in den 1980er-Jahren dem Politbüro an. Diese „rote Elite“ ist tief mit Staat, Partei und Wirtschaft verflochten. Ihre Politik setzt auf Stabilität durch Wachstum, Effizienz, und Kontrolle.

Beide Lager bekennen sich zum Sozialismus, vertreten aber sehr unterschiedliche Akzente. Während die einen auf wirtschaftliche Schlagkraft und technokratische Führung setzen, sehen die anderen die soziale Balance als Voraussetzung für langfristige Stabilität.

Wie es um die Zukunft von Xi Jinpings Macht steht, hängt letztlich nicht nur von ihm selbst ab. Entscheidend wird sein, welche dieser Gruppen – Eliten oder Jugendliga – in den Parteikadern darunter die stärkere Position gewinnt. Denn dort wird der politische Kurs der nächsten Jahre mitentschieden.

Shenzhen – Fortschritt mit Rückspiegel

Shenzhen gilt vielerorts als Symbol des chinesischen Aufbruchs – als futuristische Stadt, aus dem Boden gestampft, visionär, effizient. Doch je genauer man hinsieht, desto deutlicher treten Zeichen einer ideologischen Rückkehr ins Sichtbare.

Die urbane Oberfläche glänzt, doch darunter wächst ein Netz aus parteigelenkten Strukturen, das bis in den Alltag reicht. Inzwischen durchziehen Hunderte sogenannte „Volksdienstzentren“ das Stadtbild – sie vermitteln Nähe, meinen aber Kontrolle. Selbst an Grundschulen mischen sich historische Erzählungen ins Spielgeschehen: Auf einem übergroßen Bildschirm oberhalb des Schulhofs läuft die stilisierte Heldengeschichte chinesischer Soldaten im Koreakrieg – pädagogisch verpackt, patriotisch überhöht.

An Baustellen wird derweil Kriegsfilmkino gezeigt, etwa direkt gegenüber dem Huawei-Campus. Und an Bauzäunen prangen Hinweise zur „nationalen Sicherheit“ – so vage formuliert, dass man sie beliebig auslegen kann, aber so präsent, dass sie kaum übersehen werden können. Die Botschaft: Das Auge des Staates ruht überall – auch dort, wo eigentlich gebaut wird, nicht gedacht.

Selbst Verkehrsregeln tragen zur Idealisierung der Ordnung bei – allerdings nicht immer praktikabel. Radfahren auf der Straße ist untersagt, um den Autoverkehr nicht zu stören. Stattdessen drängt sich alles auf die Fußwege: Fahrräder, E-Scooter, Lieferdienste – hupend, drängelnd, irritierend. Chaos wird geregelt – aber nicht aufgelöst.

Besonders bemerkbar macht sich dieser Trend im Bereich der Kultur. Was nicht planbar ist, gerät ins Misstrauen. Ein amerikanischer Musiker, der einst gelegentlich in Bars auftrat, lässt heute lieber ganz die Finger von der Gitarre – nach Hinweisen, dass nur noch ausländische Profis auftreten dürfen. Sogar bei privaten Feiern verzichtet er.

Ein anderer, erfolgreicher Veranstalter von Improvisationstheater zeigt sich zunehmend vorsichtig – aus Sorge, dass seine Abende ins Visier der Behörden geraten könnten. Das Problem: In China braucht Theater ein genehmigtes Skript. Doch wie schreibt man ein Manuskript für Improvisation?

Die soziale und wirtschaftliche Isolation chinesischer Händler in Afrika

In vielen afrikanischen Ländern sind chinesische Kinder kaum präsent. Wenn überhaupt, besuchen sie internationale Schulen, und viele Familien planen ohnehin, ihre Kinder später in die USA zu schicken – insbesondere im Fall einer Verschärfung der Lage oder bei einem Notfall mit Evakuierungsszenario. Der Kontakt der chinesischen Gemeinschaft zum afrikanischen Alltag bleibt somit oft begrenzt.

Auch beim Sprachlernen zeigen sich deutliche Hürden: Einfache Methoden wie das Nachsprechen dreier aufgemalter Wörter reichen oft nicht aus, um die riesige Sprachbarriere zu überwinden. Diese Sprachprobleme tragen zur sozialen Entfremdung bei – viele Chinesen fühlen sich vom gesellschaftlichen Tempo und den Verpflichtungen ihrer Heimat China entfernt und zugleich in Afrika nicht wirklich integriert.

Wirtschaftlich gesehen hat der Markteintritt chinesischer Händler zu tiefgreifenden Veränderungen geführt: Die afrikanische Textilindustrie wurde bereits vor dem Eintreffen der Chinesen durch westliche Kreditbedingungen geschwächt, doch die Präsenz billiger Importware aus China hat den Sektor endgültig zum Zusammenbruch gebracht.

Chinesische Händler treten auf dem Markt aggressiv auf: Läden werden teils zehn Jahre im Voraus gemietet, was vielen lokalen Unternehmern den Zugang erschwert. Zudem genießen sie einen zweifelhaften Ruf – unter anderem, weil sie nicht bereit sind, wie etwa muslimische oder christliche Händler, 25 % des Gewinns für soziale Zwecke zu spenden. Diese fehlende Einbindung in lokale Netzwerke verstärkt das Bild vom kulturell isolierten Händler.

Die Gewinnmargen, die einst bei 100 % lagen, sind mittlerweile drastisch gesunken – teils auf 6 bis 7 %. Trotz des starken Konkurrenzkampfs untereinander gibt es keine Lobby für chinesische Händler in Afrika. Sie lassen sich nicht in klassische Konzepte von „Soft Power“ einordnen, nehmen nicht an Staatsbesuchen teil, und sind in vielen Ländern politisch und gesellschaftlich unsichtbar.

Zuverlässige statistische Angaben darüber, wie viele Chinesen tatsächlich in Afrika leben, gibt es nicht. Die Gemeinschaft bleibt zersplittert, wirtschaftlich aktiv, aber gesellschaftlich weitgehend isoliert.

Vortragsankündigung 21.10.2024 – VHS Freiburg

242102438 China und Amerika – Der aufziehende Sturm (Vortrag)

BeginnMo., 21.10.2024, 19:00 Uhr
Kursgebühr9,00 € (keine Abendkasse; Anmeldung erforderlich)
Dauer1x [1,5 Stunden]
KursleitungDr. Gunnar Henrich

Geschichte widerholt sich angeblich nicht. Doch überwunden geglaubte historische Großkonflikte können in schlimmerer Form wieder auftreten. War der „Kalte Krieg“ zwischen den USA und der Sowjetunion 40 Jahre lang eher eine lange Friedensperiode, könnte die Neuauflage zwischen China und Amerika recht schnell zu einem echten Krieg eskalieren. Wem ist eigentlich noch bewusst, dass es tatsächlich einmal einen bewaffneten Konflikt zwischen US Soldaten und Angehörigen der chinesischen Armee gegeben hat? Der nicht mit einem amerikanischen Sieg geendet hat. Es genügt ein kleiner Funke, und gerade im südchinesischen Meer gäbe es eine Neuauflage. Wirtschaftliche Verflechtungen schützen nicht vor militärischer Gewalt, das zeigt nicht zuletzt der Ukraine Krieg. Dieser Vortrag zeigt, wo die Konfliktfelder zwischen Amerika und China sind. Was bei einer neuen Wahl Donald Trumps drohen könnte. Und welchen Verlauf die Konkurrenz der beiden Großmächte im 21. Jahrhundert nehmen kann. – Anmeldung erforderlich.

Kursort

vhs im Schwarzen Kloster, Theatersaal

Rotteckring 12
79098 Freiburg

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Ankündigung Vortragsserie in Basel – Januar 2024

Die Volksrepublik China – vom Armenhaus zur Weltmacht

Ein historischer Abriss

Kurs-Nr.: K 140 4040

Kurspreis: CHF 100.00

Kursleitung: Gunnar Henrich, Dr., Politikwissenschaftler

Anmeldeschluss: 01.01.2024

An vier Abenden wird die geschichtliche Entwicklung des ehemaligen chinesischen Kaiserreichs zur Weltwirtschaftsmacht vorgestellt. Vom Kaiserreich 1900 über die chinesische Republik 1912 folgen wir der japanischen Besatzung im zweiten Weltkrieg, dem innerchinesischen Bürgerkrieg über die Gründung der VR China 1949 und erleben den Aufstieg Chinas aus eigener Kraft zur dominierenden Weltmacht des 21. Jahrhunderts. Wie war diese Entwicklung möglich?

KurstermineKurszeitKursort
Mo., 08.01.202418:15-20:00Universität Basel, Kollegienhaus, Petersplatz 1, Basel
Mo., 15.01.202418:15-20:00Universität Basel, Kollegienhaus, Petersplatz 1, Basel
Mo., 22.01.202418:15-20:00Universität Basel, Kollegienhaus, Petersplatz 1, Basel
Mo., 29.01.202418:15-20:00Universität Basel, Kollegienhaus, Petersplatz 1, Basel

Kursankündigung Freiburg Waldhof 22.03.2024

China: 50 Jahre Einfluss auf die Region Freiburg

Nicht nur touristisch wird Freiburg immer attraktiver für chinesische Besucher. Im akademischen Bereich ist Freiburg ebenfalls stark mit China verbunden, vor allem durch das Freiburger Institut für Sinologie. Im Jahr 2022 wurde der Festakt zum 50-jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland in Freiburg gefeiert. Seit 2005 dient das China Forum Freiburg als Plattform für den kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen beiden Ländern. Chinesische Unternehmen haben ein starkes Interesse am deutschen Markt, insbesondere an mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg. Hier betragen die Direktinvestitionen chinesischer Firmen 23 Prozent bezogen auf das gesamte Bundesgebiet. Der Vortrag bietet ein differenziertes Bild hinsichtlich des chinesischen Einflusses konkret auf die Region Freiburg.

Anmeldung

Vortragsankündigung 12.10.2023 – VHS FREIBURG

213 – Taiwan – worum es eigentlich geht

Was in Zukunft drohen könnte und warum es uns alle angeht

Erwachsenenbildung

Termin

Do. 12.10.2023, 19:30 bis 21:00 Uhr

Beschreibung

Diejenigen, die sich heute noch wundern, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine -durch die Energiepreise etwa- jeden einzelnen von uns betrifft, ahnen wohl nicht, was ein Krieg um Taiwan bedeuten würde. Für viele vermutlich nur „irgendeine kleine Insel im chinesischen Meer“, ist Taiwan wie kaum ein anderer Ort mit der chinesischen Identität verflochten. Ein chinesischer Angriff würden die USA zum ersten Mal in einen Krieg mit der Volksrepublik China hineinziehen. Dreiviertel der weltweiten Chipindustrie ist in Taiwan ansässig- ohne Chip läuft kein Handy. Und nicht zuletzt ist Taiwan eine der modernsten und jüngsten Demokratien der Welt- und zeigt, Chinesen „können Demokratie „.  Dieser Vortrag erklärt, worum es bei dem Taiwan Konflikt eigentlich geht. Was eine Eskalation bedeuten würde. Und warum uns das ganz konkret betrifft. – Anmeldung erforderlich.

Vortrag, Dr. Gunnar Henrich

Zeit: Do, 12.10.2023, 19.30-21.00 Uhr 

Ort: vhs im Schwarzen Kloster, Rotteckring 12, Theatersaal

Kosten: 9,00 € (Anmeldung erforderlich, vhs Kurs 102.438)

Anmeldung bei VHS Freiburg

Sag mir wo die Demonstranten sind…wo sind sie geblieben?

Zehntausende Menschen gingen hierzulande in den siebziger Jahren gegen den verheerenden Vietnamkrieg auf die Straße – oder gegen den 1991 von Amerika angeführten ersten Irakkrieg zur Befreiung Kuwaits.  Erst recht wurde gegen den zweiten Golfkrieg im März 2003 demonstriert, laut, schrill und voller berechtigter Empörung.

Wo aber bleibt hierzulande der massenhafte Aufschrei gegen Russlands Krieg gegen die Ukraine? Unabhängig von dem öffentlichen Entsetzen in Medien und Politik? Wo sind die großen Demonstrationen?

Vielleicht fehlen sie, weil es nicht gegen Amerika geht?

Amerika spaltete immer die Gemüter. Auf der einen Seite wurde Amerika verklärt, als Traumland und Produzent von Träumen- durch Hollywood, Musik, Mode. Auf der anderen Seite wurden viele von Amerika enttäuscht, verbittert und wendeten sich ab.

Europäische Aufklärer und Romantiker begeisterten sich für die Welt auf der anderen Seite des Atlantiks. Schon Goethe schrieb: „Amerika du hast es besser“.  Amerika lässt so gut wie keinen kalt. Selbst viele, die noch nie dort waren, haben eine feste Meinung von dem Land.

Man kann dem Einfluss der USA auch kaum entgehen, amerikanische Musik und Filme, Produkte wie Apple, Facebook oder Levis Jeans sind global stil- und lebensprägend. Wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten, fiebern auch in Europa Millionen von Fernsehzuschauern mit, als ginge es dabei um die Wahl ihres eigenen Staatsoberhaupts. Umfragen belegen, dass viele Europäer liebend gerne von jemandem wie Kennedy oder Obama regiert worden wären. Auch Europäer, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Kommunismus aufwuchsen, blickten gebannt auf die USA.

Vielleicht rührt die gigantische Empörung über Amerikas Kriege aus der Enttäuschung über den Bruch des Idealbildes her. Man würde sich wünschen, dass auch andere Staaten idealistischer gesehen werden. Oder dass man die Messlatte für Amerika nicht mehr so hoch hängt.   

Und wenn bei der nächsten militärischen Aktion der USA wieder die Strassen schwarz voller berechtigt Empörter sind, möchte man ihnen doch freundlich zurufen: „Willkommen ihr Zurückgekehrten- nach der Demopause damals, als in der Ukraine Schlachtfest war.“

China und der radikale Islam

Einer der möglicherweise größten Konflikte der nächsten Dekade findet bisher kaum öffentliche Beachtung- weder in der Presse noch in der politischen Debatte. Wie wird sich die Volksrepublik China sicherheitspolitisch und möglicherweise auch militärisch gegenüber radikalislamischen und islamistischen Staaten oder Organisationen verhalten, wenn sie ihre Interessen gefährdet sieht?

Hier soll es nicht um den Umgang der chinesischen Regierung mit dem Islam an sich gehen, auch nicht um die brutale Unterdrückung der islamischen Minderheit der Uiguren in Xinjiang. Das Verhalten der chinesischen Regierung in Xianjiang ist ein Menschheitsverbrechen, aber beschränkt sich doch auf das chinesische Staatsgebiet.

Wie ist es stattdessen um die internationalen Beziehungen Chinas mit radikalislamischen Staaten bestellt?

Gemäß der offiziellen Doktrin der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten kommt Peking bisher mit islamistischen Regimen wie den Taliban oder dem Iran gut aus. Das gilt auch für afrikanische islamistische Staaten wie etwa Sudan. Hier bezieht China Öl und verhinderte bereits in den 2000er Jahren eine Verurteilung des Sudans durch den UNO Sicherheitsrat.

Die Konflikte und Kriege mit Islamisten wie dem sogenannten „Islamischen Staat (IS)“, Al Qaida oder den Taliban werden seit Jahrzehnten vor allem von den USA und den NATO-Verbündeten ausgetragen. Es gab zwar auch in China islamistische Attentate, doch wurden diese vermutlich von uigurischen Extremisten verübt, nicht von dem IS oderanderen  internationalen islamistischen Netzwerken. Peking hat es bisher geschickt vermocht, im Windschatten der USA strategisch  vorzugehen- nach dem überstürzten Abzug der NATO  aus Afghanistan im August 21 waren die Chinesen mit an erster Stelle, als es um gute Beziehungen mit dem neuen (alten) Taliban Regime ging.

Doch das aussenpolitisch robuste, ja rücksichtslose Auftreten von Präsident Xi und die geopolitische Aufstellung Chinas als Antipode zu den USA könnte irgendwann zu erheblichen Konflikten mit islamistischen Gruppen oder Staaten führen. Der Rohstoffbedarf Chinas ist enorm, militärisch rüstet die Volksbefreiungsarmee in großem Tempo auf. Die Losung „Der Feind der USA ist mein Freund“ wird mit diesem China möglicherweise schon bald nicht mehr funktionieren.

Es wurde viel gerätselt und gemutmaßt in den vergangenen Jahren, ob die KP in Peking nun kapitalistisch, kommunistisch, nationalistisch oder eine Mischform aus allem ist. Eins aber ist sie ganz gewiß: beinhart atheistisch. Jede Religion, aber erst recht eine so alltagsprägende und dominante wie die islamische ist eine Bedrohung des Wesenskerns der KP. Es wäre verwunderlich, wenn dies nicht irgendwann in der Zukunft zu einem internationalen Zusammenstoß mit radikalislamischen Ländern oder Gruppen führen würde. Erst recht dann, wenn China wirklich „Weltmacht“ sein will-  denn das geht nur mit allen Konsequenzen.

Deng Xiaoping- Dekonstruktion eines Mythos

Die überragende politische Führungsfigur der Volksrepublik China nach dem Tode Maos war Deng Xiaoping, der „Vater des chinesischen Wirtschaftswunders“.  Er lebte von 1904 bis 1997 und wurde erst im Alter von 74 Jahren Chinas wichtigster Politiker.  Kurz nach Maos Tod war allerdings ein anderer Chinas Staatschef- Dengs Konkurrent Hua Guofeng. Dieser spielte nach Dengs innerparteilicher Machtübernahme politisch keine Rolle mehr. Heute wird Deng in der Volksrepublik verehrt wie ein Heiliger

Es wird gemeinhin angenommen, dass Deng Xiaoping die wirtschaftliche Öffnung und Reform seit 1978 allein zu verantworten hat. Dem ist nicht so- jedenfalls nach Meinung der australischen Historiker Frederick Teiwes und Warren Sun.

Offiziell wird vertreten, dass Deng seinen Konkurrenten Hua Guofeng 1981 öffentlich dafür kritisierte, dass er die Kulturrevolution verteidigte, um sich selbst einen Personenkult zelebrierte und dem Dengschen Ziel widersprach, „die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen“. Also rationale und nicht ideologische Entscheidungen zur Grundlage der Wirtschaftspolitik zu machen.

Tatsächlich sei es aber ganz anders gewesen, so die Australier. Dengs Slogan „Der Geist solle emanzipiert werden“ käme von Hua, seit Oktober 1976 hätte Hua kleine wirtschaftliche Öffnungsschritte unternommen und weitergehende Reformen bereits geplant, als Deng noch im politischen Exil war. Der legendäre elfte Parteitag der chinesischen KP im Dezember 1978 gilt als Geburtsstunde der chinesischen Reformen aufgrund Dengs Initiative. Die australischen Forscher widersprechen der These und werfen Deng Geschichtsschreibung in eigener Sache vor.

Ob die Vorwürfe stimmen, soll hier nicht überprüft wird. Tatsächlich ist es eine historische Tatsache, dass Geschichte von Siegern geschrieben wird. Und Deng ist ein Titan der chinesischen Geschichte. Selbst wenn die These der Australier stimmen sollte, war es Deng, der bis in die 1990er Jahre kurz vor seinem Tod im hohen Alter Zweifel an seinem Kurs innerhalb der KP immer wieder ausräumen bzw. sich durchsetzen konnte. So konnte er 1992 mit 88 Jahren durch eine großangelegte Reise durch die Sonderwirtschaftszonen im Süden Chinas parteiinternen Kritikern an seinem Wirtschaftskurs den Wind aus den Segeln nehmen. Diese „Reise in den Süden“ ist heute noch legendär in China.

Und im Jahr 2022 ist es eigentlich ohnehin unerheblich, wer die Reformen erdachte und begann. Denn Dengs aktueller Nachfolger ist dabei, jeden positiven Aspekt der 40 jährigen chinesischen Reform- und Öffnungspolitik abzuräumen.

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