Shenzhen gilt vielerorts als Symbol des chinesischen Aufbruchs – als futuristische Stadt, aus dem Boden gestampft, visionär, effizient. Doch je genauer man hinsieht, desto deutlicher treten Zeichen einer ideologischen Rückkehr ins Sichtbare.
Die urbane Oberfläche glänzt, doch darunter wächst ein Netz aus parteigelenkten Strukturen, das bis in den Alltag reicht. Inzwischen durchziehen Hunderte sogenannte „Volksdienstzentren“ das Stadtbild – sie vermitteln Nähe, meinen aber Kontrolle. Selbst an Grundschulen mischen sich historische Erzählungen ins Spielgeschehen: Auf einem übergroßen Bildschirm oberhalb des Schulhofs läuft die stilisierte Heldengeschichte chinesischer Soldaten im Koreakrieg – pädagogisch verpackt, patriotisch überhöht.
An Baustellen wird derweil Kriegsfilmkino gezeigt, etwa direkt gegenüber dem Huawei-Campus. Und an Bauzäunen prangen Hinweise zur „nationalen Sicherheit“ – so vage formuliert, dass man sie beliebig auslegen kann, aber so präsent, dass sie kaum übersehen werden können. Die Botschaft: Das Auge des Staates ruht überall – auch dort, wo eigentlich gebaut wird, nicht gedacht.
Selbst Verkehrsregeln tragen zur Idealisierung der Ordnung bei – allerdings nicht immer praktikabel. Radfahren auf der Straße ist untersagt, um den Autoverkehr nicht zu stören. Stattdessen drängt sich alles auf die Fußwege: Fahrräder, E-Scooter, Lieferdienste – hupend, drängelnd, irritierend. Chaos wird geregelt – aber nicht aufgelöst.
Besonders bemerkbar macht sich dieser Trend im Bereich der Kultur. Was nicht planbar ist, gerät ins Misstrauen. Ein amerikanischer Musiker, der einst gelegentlich in Bars auftrat, lässt heute lieber ganz die Finger von der Gitarre – nach Hinweisen, dass nur noch ausländische Profis auftreten dürfen. Sogar bei privaten Feiern verzichtet er.
Ein anderer, erfolgreicher Veranstalter von Improvisationstheater zeigt sich zunehmend vorsichtig – aus Sorge, dass seine Abende ins Visier der Behörden geraten könnten. Das Problem: In China braucht Theater ein genehmigtes Skript. Doch wie schreibt man ein Manuskript für Improvisation?
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