Politikwissenschaftler

Monat: November 2022

China und der radikale Islam

Einer der möglicherweise größten Konflikte der nächsten Dekade findet bisher kaum öffentliche Beachtung- weder in der Presse noch in der politischen Debatte. Wie wird sich die Volksrepublik China sicherheitspolitisch und möglicherweise auch militärisch gegenüber radikalislamischen und islamistischen Staaten oder Organisationen verhalten, wenn sie ihre Interessen gefährdet sieht?

Hier soll es nicht um den Umgang der chinesischen Regierung mit dem Islam an sich gehen, auch nicht um die brutale Unterdrückung der islamischen Minderheit der Uiguren in Xinjiang. Das Verhalten der chinesischen Regierung in Xianjiang ist ein Menschheitsverbrechen, aber beschränkt sich doch auf das chinesische Staatsgebiet.

Wie ist es stattdessen um die internationalen Beziehungen Chinas mit radikalislamischen Staaten bestellt?

Gemäß der offiziellen Doktrin der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten kommt Peking bisher mit islamistischen Regimen wie den Taliban oder dem Iran gut aus. Das gilt auch für afrikanische islamistische Staaten wie etwa Sudan. Hier bezieht China Öl und verhinderte bereits in den 2000er Jahren eine Verurteilung des Sudans durch den UNO Sicherheitsrat.

Die Konflikte und Kriege mit Islamisten wie dem sogenannten „Islamischen Staat (IS)“, Al Qaida oder den Taliban werden seit Jahrzehnten vor allem von den USA und den NATO-Verbündeten ausgetragen. Es gab zwar auch in China islamistische Attentate, doch wurden diese vermutlich von uigurischen Extremisten verübt, nicht von dem IS oderanderen  internationalen islamistischen Netzwerken. Peking hat es bisher geschickt vermocht, im Windschatten der USA strategisch  vorzugehen- nach dem überstürzten Abzug der NATO  aus Afghanistan im August 21 waren die Chinesen mit an erster Stelle, als es um gute Beziehungen mit dem neuen (alten) Taliban Regime ging.

Doch das aussenpolitisch robuste, ja rücksichtslose Auftreten von Präsident Xi und die geopolitische Aufstellung Chinas als Antipode zu den USA könnte irgendwann zu erheblichen Konflikten mit islamistischen Gruppen oder Staaten führen. Der Rohstoffbedarf Chinas ist enorm, militärisch rüstet die Volksbefreiungsarmee in großem Tempo auf. Die Losung „Der Feind der USA ist mein Freund“ wird mit diesem China möglicherweise schon bald nicht mehr funktionieren.

Es wurde viel gerätselt und gemutmaßt in den vergangenen Jahren, ob die KP in Peking nun kapitalistisch, kommunistisch, nationalistisch oder eine Mischform aus allem ist. Eins aber ist sie ganz gewiß: beinhart atheistisch. Jede Religion, aber erst recht eine so alltagsprägende und dominante wie die islamische ist eine Bedrohung des Wesenskerns der KP. Es wäre verwunderlich, wenn dies nicht irgendwann in der Zukunft zu einem internationalen Zusammenstoß mit radikalislamischen Ländern oder Gruppen führen würde. Erst recht dann, wenn China wirklich „Weltmacht“ sein will-  denn das geht nur mit allen Konsequenzen.

Deng Xiaoping- Dekonstruktion eines Mythos

Die überragende politische Führungsfigur der Volksrepublik China nach dem Tode Maos war Deng Xiaoping, der „Vater des chinesischen Wirtschaftswunders“.  Er lebte von 1904 bis 1997 und wurde erst im Alter von 74 Jahren Chinas wichtigster Politiker.  Kurz nach Maos Tod war allerdings ein anderer Chinas Staatschef- Dengs Konkurrent Hua Guofeng. Dieser spielte nach Dengs innerparteilicher Machtübernahme politisch keine Rolle mehr. Heute wird Deng in der Volksrepublik verehrt wie ein Heiliger

Es wird gemeinhin angenommen, dass Deng Xiaoping die wirtschaftliche Öffnung und Reform seit 1978 allein zu verantworten hat. Dem ist nicht so- jedenfalls nach Meinung der australischen Historiker Frederick Teiwes und Warren Sun.

Offiziell wird vertreten, dass Deng seinen Konkurrenten Hua Guofeng 1981 öffentlich dafür kritisierte, dass er die Kulturrevolution verteidigte, um sich selbst einen Personenkult zelebrierte und dem Dengschen Ziel widersprach, „die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen“. Also rationale und nicht ideologische Entscheidungen zur Grundlage der Wirtschaftspolitik zu machen.

Tatsächlich sei es aber ganz anders gewesen, so die Australier. Dengs Slogan „Der Geist solle emanzipiert werden“ käme von Hua, seit Oktober 1976 hätte Hua kleine wirtschaftliche Öffnungsschritte unternommen und weitergehende Reformen bereits geplant, als Deng noch im politischen Exil war. Der legendäre elfte Parteitag der chinesischen KP im Dezember 1978 gilt als Geburtsstunde der chinesischen Reformen aufgrund Dengs Initiative. Die australischen Forscher widersprechen der These und werfen Deng Geschichtsschreibung in eigener Sache vor.

Ob die Vorwürfe stimmen, soll hier nicht überprüft wird. Tatsächlich ist es eine historische Tatsache, dass Geschichte von Siegern geschrieben wird. Und Deng ist ein Titan der chinesischen Geschichte. Selbst wenn die These der Australier stimmen sollte, war es Deng, der bis in die 1990er Jahre kurz vor seinem Tod im hohen Alter Zweifel an seinem Kurs innerhalb der KP immer wieder ausräumen bzw. sich durchsetzen konnte. So konnte er 1992 mit 88 Jahren durch eine großangelegte Reise durch die Sonderwirtschaftszonen im Süden Chinas parteiinternen Kritikern an seinem Wirtschaftskurs den Wind aus den Segeln nehmen. Diese „Reise in den Süden“ ist heute noch legendär in China.

Und im Jahr 2022 ist es eigentlich ohnehin unerheblich, wer die Reformen erdachte und begann. Denn Dengs aktueller Nachfolger ist dabei, jeden positiven Aspekt der 40 jährigen chinesischen Reform- und Öffnungspolitik abzuräumen.

© 2025 Dr. Gunnar Henrich

Theme von Anders NorénHoch ↑

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner